Meine Erlebnisse bei der Reinigung der Stadt Rüsselsheim

Am 9.9.2014 fuhr ich nach Rüsselsheim, die Opel-Stadt. Wieder ein wunderschöner Tag. Als erstes ging ich in den Waldfriedhof, wo es 221 Kriegsgräber gab. Es war eine sehr schöne Anlage und ich räucherte erstmal die gesamte Anlage mit weißem Salbei. Dort befindet sich ein Grab mit 98 nicht identifizierten russischen Soldaten, sowie ein Grab mit ca. 40 deutschen nicht identifizierten Soldaten. Vermutlich handelte es sich um Massengräber, denn sie waren auffällig klein. Vielleicht 3 m 2 pro Massengrab. Die restlichen Gräber waren Einzelgräber von überwiegend Fremdarbeitern (Griechen, Russen, Litauer, Belgier, Holländer, Tschechen) sowie Zivilisten, teilweise komplette Familien. Rüsselsheim wurde oft wegen dem Opelwerk bombardiert und die Toten dürften alle Bombenopfer gewesen sein.

Wieder hatte ich viele Blumen mit, und jedes Grab bekam eine Blume. In der Mitte zündete ich eine weiße Kerze an und sprach einen Ausruf für alle aus.

Es dämmerte schon ein wenig, als ich den Friedhof verließ. Es war aber noch hell genug, um einmal mit dem Auto das Opelwerk gegen den Uhrzeigersinn zu umfahren. Eine gesamte Stadt lebt von diesem Arbeitgeber und ihren Zulieferern und Dienstleistern. Und nachdem ich das Werk umfahren bin (das waren einige Kilometer), war ich wieder am Haupttor, wo ich einmal kurz anhielt, um dann nach Hause zu fahren. Es war inzwischen schon ganz dunkel geworden. Ich stieg wieder ins Auto ein und fuhr wenige hundert Meter weiter und guckte in den Himmel. Es war Vollmond und so ein schöner Blutmond!!! Der nächtliche Himmel war wolkenfrei und der riesige, dunkelorangefarbene Mond wirkte wunderschön. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so einen Mond gesehen zu haben. Und wieder gleich nach erfolgter „Arbeit“. Da wusste ich: Ich hab etwas bewirkt. Es war eine Bestätigung und ein kleines Dankeschön. Darüber freue ich mich immer wieder!

Am 4.5.2015 fuhr ich nochmal nach Rüsselsheim. Ich meine, in dieser Stadt gibt es noch viel zu lösen. Während des Krieges hat es dort mal eine Fliegerlynchjustiz gegeben. Die komplette Geschichte findet sich hier.

Ich berichte das hier mal in Kurzfassung: Acht amerikanische Flieger, die nördlich von Hannover unsere Städte bombardiert hatten, wurden von der FLAK abgeschossen und alle acht haben überlebt. Vorschriftsmäßig wurden sie mit dem Zug ins Durchgangslager Oberursel gebracht. Dazu mussten sie über den Bahnhof Rüsselsheim fahren. Der Zug konnte von Rüsselsheim aber nicht weiterfahren, weil am Vortag die Stadt bombardiert wurde und die Schienen unterbrochen waren. Der größte Teil der Bevölkerung  hatte die Nacht im Bunker verbracht. Es gab Tote und Verletzte, darunter sehr viele Fremdarbeiter des Opelwerkes. Am nächsten Tag war die Bevölkerung gerade dabei, in ihren zerstörten Häusern nach ihren Habseligkeiten mit Spaten und anderem Werkzeug zu suchen. Und dann kamen die acht abgestürzten Flieger vorbei!

Die Flieger mussten in Rüsselsheim aussteigen und zu Fuß bis zum nächsten Bahnhof gehen, um dort weiter nach Oberursel zu kommen. Dazu mussten sie über Rüsselsheim gehen und zwei deutsche Soldaten hatten den Auftrag sie zu bewachen und beschützen. Das war aber gar nicht möglich, denn die Bevölkerung ging so erbost auf sie zu, dass die Flieger durch die Stadt laufen mussten. Die Bevölkerung lief ihnen hinterher. Immer mehr empörte Leute schlossen sich der Gruppe an und prügelten auf die Flieger ein.

An der Grabenstraße fast Ecke Taunusstraße blieben dann sechs von ihnen tot liegen. Die beiden anderen stellten sich tot (oder waren nicht bei Bewusstsein) und retteten sich vor den Schlägen der Menge. Sie wurden nach Oberursel gebracht und überlebten den Krieg.

Ich fuhr einmal die Strecke lang, die die Flieger und die wütende Bevölkerung gelaufen sind (das waren gut 400 – 500 m) und kam in die Grabenstraße fast Ecke Taunusstraße. Da steht die Gedenkstätte. Sie besteht aus einem Mauerstück. Als ich aber auf die andere Seite der Mauer schaute, bestand die Rückseite doch tatsächlich aus den Portraits der acht Massenmörder. S. hier: .  Das sieht ja so aus, als ob hier acht Helden gefeiert werden und ein Denkmal bekamen! Und ich wollte hier an alle Menschen gedenken, die von der Siegerjustiz hingerichtet oder langjährig verhaftet wurden. Mehrere Rüsselsheimer wurden nämlich durch die Siegerjustiz auch hingerichtet und sehr viele kamen in Haft, darunter auch viele Frauen.  Dazu hatte ich extra Blumen gebracht, die natürlich nicht für die acht Massenmörder waren.

Trotzdem hielt ich das Ritual ab. Wohl war mir dabei nicht, denn im Rücken hatte ich das Bild der acht Amerikaner. War ja fast wie eine Botschaft.

Manchmal frage ich mich, ob man in Deutschland keinen Gerechtigkeitssinn gegenüber der heimischen Bevölkerung kennt. Ich will die Bevölkerung von Rüsselsheim hier nicht in Schutz nehmen, aber die wahren Täter waren sie nicht. Den wahren Tätern setzte man ein Denkmal.

Im Anschluss ging ich noch zu den Opel-Villen am Main. Hier mal ein Bild:

Es waren zwei Wohnhäuser der Familie Opel. Heute sind es Museen.

In Rüsselsheim gibt es gleich neben den Villen noch eine riesige Festung, die Festung Rüsselsheim. Sie wurde 1339 von den Grafen von Katzenellenbogen erbaut und diente dem Schutz des Landes südlich des Mains. Sie wurde 1688 im Pfälzischen Erbfolgekrieg gesprengt und später restauriert. Hier ein Foto:

Festung Rüsselsheim

Die Festung bin ich auch einmal umgangen. An solchen Festungen hat es immer Kämpfe und Blut gegeben und die wird ganz schön belastet sein.