Die Fremd- und Zwangsarbeiter im 2. Weltkrieg
Die energetische Reinigung von Fremd- und Zwangsarbeitergräbern und von Betrieben, die während des Krieges Ausländer beschäftigten, war meine allererste Aufgabe im Herbst 2011, in der ich alles erlernte, um anschließend die Erdheilungen in den Rheinwiesenlagern, bombardierten Städten, für Flüchtlinge, Kriegsgefangenen, Hingerichteten etc. durchzuführen.
Der Friedhof von Kelsterbach:
Ich pflückte einen ganzen Korb voll mit Blumen, Kräutern und frischen Gingko-Blättern aus meinem Garten und von der Wiese, und suchte Kriegsgräber auf, um sie darauf zu streuen. Dafür ging ich in einen kleinen Ortsfriedhof zwischen der ehemaligen Firma Hoechst (damals „IG-Farben“, heute „Industriepark Hoechst“) und dem Flughafen Frankfurt, nicht weit von meinem Wohnort entfernt. Im Internet hatte ich recherchiert, dass es dort ein Kriegsgräberfeld gibt.
Als ich auf den Friedhof kam, sah ich nicht weit vom Eingang eine alte Frau auf einer Bank sitzen, die mit Sicherheit schon weit über 80 Jahre alt war. Sie blickte traurig. Ich fragte sie, wo denn das Kriegsgräberfeld ist und sie zeigte mir mit dem Finger auf die Stelle. Neugierig schaute sie in meinen Korb mit den Blumen, Kräutern und Blättern und fragte mich, für was das denn ist. Ich erklärte ihr, was jedes Kraut bewirkt. Interessiert wollte sie auch noch wissen, was jede Blume bedeutet. Die Blumen sind immer ein Zeichen von Liebe und Schönheit. Man sollte sie immer von Herzen schenken, und am besten keine gekauften Blumen, denn die haben keine richtige Liebe bekommen. Außerdem reinigen Pflanzen. Und nun wollte die alte Frau wissen, was ich denn mit diesen Blumen, Kräutern und Blättern mache. „Ich wollte eine Blume über jedes Kriegergrab streuen, zwischen die Reihen laufen und den verstorbenen Seelen ein Liedchen vorsingen. Das sind Seelen, die gewaltsam verstarben, die mitten aus dem Leben gerissen wurden, die in Sorge um ihre Familien und Kinder starben, und an die sich kaum ein Mensch noch erinnert“.
Zum Glück sah die alte Frau meine Utensilien für die Räucherung nicht (Schale, Kohle, Weihrauchmischung, getrockneter Beifuß und Kräuter, Feuerzeug, Feder), die ich zum Räuchern der Fläche dabei hatte und ebenfalls im Korb lagen, denn das hätte ich ihr wohl nicht so einfach erklären können.
Nun fing die alte Frau ein wenig zu weinen an und fragte mich, ob sie ihren geliebten Ehemann, der vor vier Jahren starb und dort in diesem Grab liegt (sie zeigte auf ein Grab gleich vor uns), jemals denn wiedersehen wird und wo er denn wohl ist. Ich fragte sie, wie denn ihr Mann verstorben ist. „Er war lange krank und schon über 80 Jahre alt“, entgegnete sie. Und: Ja, er wirkte friedlich, als er tot im Bett lag. „Dann brauchen Sie sich überhaupt keine Sorgen zu machen“, antwortete ich, und erklärte ihr die Transformation an dem Beispiel der kleinen Raupe, die zum Schmetterling wird. Das hat sie verstanden, sie wollte aber wissen, wo ihr Mann denn jetzt ist. „Der ist bei Ihnen, und zwar jedes Mal wenn Sie an ihn denken. Der beschützt Sie auch.“. „Also nicht auf dem Friedhof?“. „Nein. Nicht unbedingt. Ihr Mann hat keinen Körper mehr. Der ist überall und wenn Sie an ihn denken, ist er körperlos in einer veränderten Form bei Ihnen“. Ja, diesen Eindruck hatte sie auch. Und auch ihr Sohn sagt ihr immer wieder, dass sie nicht täglich auf den Friedhof gehen soll, denn der Vater ist dort nicht. Wie das oft so ist, glaubte sie ihrem Sohn nicht. Sie glaubte es aber einer Fremden.
Nach diesen Worten wirkte sie fröhlicher und stabiler. Irgendwie hatte ich etwas bei ihr bewirkt, obwohl ich doch an dem Tag etwas ganz anderes vorhatte und zu den Kriegsgräbern wollte.
Nun wollte die Frau aber von mir wissen, ob sie ihren Mann jemals wiedersehen wird. „Ja“, entgegnete ich, „aber in einer anderen Form. Auch Sie sterben eines Tages, so wie wir alle einmal sterben müssen, auch Sie werden von der Raupe zum Schmetterling und dann wird Ihr Mann Sie empfangen, wenn Sie es so wünschen und wenn Sie zu Lebzeiten ein gutes Verhältnis hatten“. Sie überlegte ein wenig. Vermutlich dachte sie dabei auch an die trüben Zeiten ihrer Ehe. Sie kam aber zum Schluss, dass sie ein gutes Verhältnis zu ihrem Mann hatte und dass sie ihn dann wohl auch wiedersehen wird.
Sie bedankte sich bei mir liebevoll und erleichtert für das schöne Gespräch, erklärte mir, dass sie sich jetzt viel wohler fühlt und ich ihr weitergeholfen habe, und ging nach Hause. War auch für mich ein kleiner Erfolg, über den ich mich freue.
Ich hab mich noch länger danach gefragt, was diese Begegnung denn zu bedeuten hatte. Als gläubiger Mensch ohne Kirche und Religion meine ich, dass alles, das ein wenig auffällig ist, eine Botschaft oder ein Zeichen ist, das mich auf meinem Lebensweg führt. Normalerweise halte ich mich mit fremden Menschen nicht so lange und so gerne auf. Erst nachdem mir während vielen Reinigungstouren vor Ort immer wieder Menschen begegneten, mit denen ich gerne und lange klönte, und Tieren begegnete, die freudig auf mich zukamen und sich nicht so recht von mir trennen wollten, wurde mir klar, dass ich an diesen Orten noch etwas länger bleiben sollte. Das war wichtig für die Erdheilung.
Als die alte Frau fort war, ging ich ein paar Meter weiter zu den Kriegsgräbern. Das war eine sehr schöne Anlage, aber Soldaten waren nur die allerwenigsten, die dort lagen. Das Feld war voll mit Gräbern von Polen und Russen und darunter waren sehr viele Babys und Kleinkinder, die alle in 1944 und 1945 verstarben. Von Fremdarbeitern hatte ich Ahnungslose nämlich nur wenig gehört und die Babys in den Gräbern konnte ich mir überhaupt nicht erklären. Ich räucherte in alle vier Himmelsrichtungen, machte eine Kerze an, summte mein Aufstiegsliedchen, streute die Blumen, Kräuter und Blätter auf jedes Grab und fühlte mich richtig wohl dabei. Das „Hinterher Wohlfühlen“ und „ein wunderschöner Tag mit Sonnenschein“ ist immer ein Zeichen, dass etwas gut gelungen ist, stellte ich später fest. Dabei hatte ich damals noch keine Aufrufe gemacht. Auf solche Dinge kam ich erst später drauf.
Die unfreiwillige Rundfahrt um die Firma Hoechst AG:
Ich verließ den Friedhof von Kelsterbach, stieg in mein Auto und wollte nach Hause fahren. Und verfahre mich! Man stelle sich das mal vor: Ich wohne nicht weit entfernt, ich kenne die Gegend wie meine Jackentasche und biege in die falsche Straße ein! Und dummerweise stieß ich auch noch auf die Mauern der ehemaligen Firma Hoechst AG (heute „Industriepark Hoechst“, überwiegend Sitz von Aventis-Sanofi) und konnte nicht umdrehen. Ich war mit meinen Gedanken auf dem Friedhof bei den Toten und den vielen Babys, mein Haar und meine Kleidung rochen stark nach der Räucherung und nach ein paar Kilometern landete ich vor dem Tor Süd des Hoechst-Geländes. Dort wollte ich umdrehen, fuhr aber dummerweise schon wieder in die falsche Richtung, und zwar Richtung Frankfurt-Innenstadt, denn ich war mit meinen Gedanken immer noch auf dem Friedhof und den Gräbern. Also fuhr ich die erste Abfahrt Griesheim runter von der Straße und befand mich auf einer Straße, die ich gar nicht kannte. Und auch dort konnte ich nicht umdrehen! Direkt am Main lang fuhr ich am Werk Griesheim (heute Clariant) der ehem. Hoechst AG lang, an der ehem. Messer Griesheim vorbei, und erst dort fand ich die richtige Straße für den Heimweg.
Ich hatte einen Umweg von gut 30 km gemacht und bin die gesamte ehemalige Hoechst AG gegen den Uhrzeigersinn umfahren! Vor allem das Werk Griesheim, wo das Pulver für die Kanonen hergestellt wurde! Und das auf dem Rückweg einer Reinigungstour! Ich verstand das nicht. Die Erklärung dazu gab mir ein Bekannter: „Du hast etwas gelöst“. Stimmt. Ich bin einmal um das Gelände der ehemaligen Hoechst gefahren, einschl. dem Werk Griesheim. Da gab es sicher einiges zu lösen.
Im Internet fand ich dann auch ein wenig über die Polen- und Russengräber, die ich besucht hatte. Das waren Fremdarbeiter der Firma Hoechst, die an Fleckfieber und durch Bombenangriffe der Alliierten, verstorben waren. Die vielen Babys und Kleinkindergräber waren die Babys der Fremdarbeiter, die diese –trotz der schrecklichen Situation, in der sie leben mussten – auf diese Welt gesetzt hatten, und die an Krankheiten und durch Verwahrlosung „verreckt“ waren.
Das ist natürlich ein trauriges Kapitel unserer Vergangenheit. Die Fremdarbeiter waren eine Notwendigkeit des Krieges, wenn auch eine unmenschliche, aber das mit den Babies hätte so nicht sein müssen. Dafür habe ich mich etwas geschämt.
Ich hab im Anschluss daran, im Herbst 2011, überwiegend Gräber in sehr vielen kleinen Friedhöfen im Rhein-Main-Gebiet besucht. Es waren hauptsächlich Fremdarbeiter, aber auch einige Soldaten des 1. und 2. Weltkrieges und Zivilisten, meist Bombenopfer. Ich berichte im Anschluss nur über Friedhofs- und weitere Touren, in denen es etwas Besonderes gab, denn es wird sonst alles etwas lang und langweilig.
Der jüdische Friedhof von Hochheim:
Ziemlich unheimlich war der Besuch in einem kleinen Jüdischen Friedhof mitten in den Weinbergen zwischen Frankfurt und Wiesbaden, der in der nationalsozialistischen Zeit konfisziert wurde und in dem verstorbene Fremdarbeiter und deren Babys danach beerdigt wurden. Der Friedhof war keine 1000 qm groß und als ich ankam, war er abgeschlossen. „Bitte Schlüssel bei der Stadtverwaltung abholen“, stand auf einem Schild am Eingang. Ich dachte mir, dass ich doch wohl für dieses kleine Grundstück nicht extra das Gelände betreten muss. Die Friedhofsmauer war ca. 1,20 m hoch und ich konnte den gesamten Friedhof von innen über die Mauer überblicken. Es war ein ganz alter Friedhof, auf dem die Gräber nicht mehr gepflegt wurden. Nur die Wiese war ordentlich gemäht.
Auf die Idee, den Friedhof von außen einmal zu umgehen, kam ich komischerweise nicht. Mitten im Weinfeld wäre die Umgehung nämlich ein Leichtes gewesen. Nun wollte ich vor dem Eingangstor räuchern. Wenn ich aber die Räucherkohle anmachen wollte, kam immer eine Windböe und blies das Feuer aus. Ich konnte machen was ich wollte: Ich bekam die Kohle nicht an, geschweige denn eine Kerze. War also nichts mit dem Räuchern. Nun hatte ich noch so viele Blumen gebracht und wollte sie über die Friedhofsmauer auf das Friedhofsgelände streuen. Aber: Immer wenn ich die Blumen rüber warf, kam eine Windböe und die Blumen flogen mir wieder voll in mein Gesicht zurück. Der Tag war etwas windig, aber hier auf dem Feld erschien mir jeder kleine Wind wie eine Orkanböe.
Irgendwie war das nichts mit dem Tag. Ich konnte nichts machen. Irgendetwas Seltsames hatte der Friedhof auch. Das war ja so, als ob ich dort nichts anrühren sollte! Also wartete ich einen anderen Tag ab, einen richtig windstillen, schönen Herbsttag in 2011, holte dieses Mal vorher den Schlüssel für den Friedhof bei der Stadt und betrat das Friedhofsgelände. Ich räucherte in alle vier Richtungen und – das war ja unglaublich – die Kohle, die bereits schon richtig geglüht hatte, ging nach einer Weile von alleine aus. So als ob ein dicker Wassertropfen darauf gefallen wäre. Die Kerze ging auch immer wieder aus, obwohl es ganz windstill war und ich wurde das Gefühl nicht los, dass neben mir eine kleine, dunkle, bärtige, buckelige männliche Gestalt stand, die mir zuschaute.
Ich habe in den Friedhöfen nie Angst gehabt, selbst nicht wenn es dämmerte und ich allein war, aber dieses Mal wurde es mir doch etwas unheimlich. Ich war ja dort ganz allein auf dem Gelände mitten in den Weinfeldern. Ich streute die Blumen auf die Gräber der Juden (es waren alles sehr alte Gräber aus der Zeit vor 1930) und auf die der Fremdarbeiter und verließ ziemlich fluchtartig das Gelände. Es war das erste – aber nicht das einzige – Mal, dass ich nach der Reinigungstour kein gutes Gefühl hatte und mich auch nicht pudelwohl fühlte. Mein Gefühl sagt mir, dass an den jüdischen Gräbern etwas nicht stimmte.
Die Antwort bekam ich von einer Bekannten: Juden lassen sich nur von Juden helfen! Was auch immer hier war, konnte ich nicht herausfinden und nicht lösen.
Der Friedhof von Frankfurt-Hoechst:
Hervorzuheben ist auch eine Tour im Friedhof von Frankfurt-Hoechst im Herbst 2011. Seltsamerweise begegnete ich dort wieder einer älteren Witwe, die das Grab ihres Mannes besuchte, und mich ansprach. Diese Frau hatte aber eine richtige Einstellung zu dem Tod und wollte mir eigentlich nur etwas erzählen. So berichtete sie richtig fröhlich, wie sie es fühlt, dass ihr verstorbener Mann jeden Tag bei ihr in der Wohnung ist. Er schaut immer aus einem bestimmten Bild, das sie von ihm hatte. Sie fühlte sich beschützt und glücklich und freute sich, dass sie mich getroffen hatte, weil ich sie verstand. Vermutlich hörte ihr in ihrer Familie keiner zu, wenn sie fühlte, dass ihr Mann sie begleitete. Ich bestätigte ihr, dass das nur ihr Mann sein kann, den sie da fühlt, und dass sie ihn mit Sicherheit eines Tages wiedersehen wird, wenn auch sie geht. Ich schenkte ihr noch ein paar Gingko-Blätter für das Grab ihres Mannes und wir trennten uns. Das war wieder eine Begegnung, die mich in angenehmer Weise auf diesem Platz festgehalten hat, weil ich auf diesem Friedhof noch eine Weile bleiben sollte.
Auf dieser Tour in Frankfurt-Hoechst fielen mir zum ersten Mal die vielen Gräber von Bombenopfern auf. Auf dem Friedhof sind nämlich – neben weiteren Fremdarbeitern der Firma Hoechst – etwa 700 Gräber von Menschen, die bei der Bombardierung der Firma und dem Stadtteil Hoechst gestorben waren. Das machte mich hellhörig und brachte mich auf die Städtebombardierung von der ich zu dem Zeitpunkt (außer der Geschichte von Dresden) nichts wusste. Frankfurt am Main wurde nämlich immer wieder bombardiert und hatte zuletzt etwa 6000 Opfer zu beklagen. Dabei ist die ehemalige Firma Hoechst und der Stadtteil Hoechst sogar auffällig gut davongekommen.
Das KZ Natzweiler-Struthof Außenstelle Mörfelden Walldorf im Stadtwald Frankfurt:
Über eine weitere, recht unheimliche Angelegenheit während meiner Touren im Herbst 2011 will ich noch berichten. Der Frankfurter Flughafen wurde mitten im Stadtwald Frankfurt gebaut und die Firma Züblin hielt während des Krieges am Frankfurter Flughafen die Rollbahnen instand. Dafür hatten sie aus Auschwitz 1400 ungarische jüdische Frauen bekommen und 300 Frauen (überwiegend Französinnen) aus dem KZ Natzweiler-Struthof. Die Frauen wurden in Baracken im Stadtwald Frankfurt, gleich am Flughafen bei Walldorf, in Baracken untergebracht. Dieses kleine KZ Natzweiler-Struthof Außenstelle Walldorf hat nur 3 Monate im Herbst 1944 bestanden. Die Baracken wurden noch in 1944, als sie nicht mehr gebraucht wurden, gesprengt und das Waldstück neu aufgeforstet.
Vor einigen Jahren fanden Kinder beim Spielen im Stadtwald ein Loch. Als dieses Loch etwas ausgebuddelt wurde, stellte sich heraus, dass das der Keller einer Baracke war. In diesem Keller hatte die Küche gestanden und gleich daran angehängt der Keller, wo die Frauen – so zumindest der Bericht der noch lebenden Frauen – geschlagen wurden, wenn sie nicht genug gearbeitet hatten. Ich bin davon überzeugt, dass es diese Frauen nicht leicht hatten, denn zur Instandhaltung der Rollbahnen müssen schwere Zementsäcke geschleppt werden. Es gab in ganz Deutschland eine Lebensmittelknappheit und das wenige, das da war, hat man bestimmt nicht den jüdischen Frauen gegeben. Etwas muss man ihnen aber gegeben haben, denn sonst hätten sie nicht arbeiten können. Außerdem wurde der Flughafen sehr oft bombardiert, und allein schon deshalb waren mit Sicherheit Tote zu beklagen, die vermutlich im Frankfurter Stadtwald irgendwo verscharrt wurden. Auf den Waldwegen des Geländes hatte man einen Lehrpfad errichtet. Darauf waren viele Bilder und Berichte von den Frauen.
Zur energetischen Reinigung dieses Kellers begleitete mich dieses Mal ein Bekannter. Allein war mir diese eine Tour doch etwas zu unheimlich. Wir suchten und suchten dieses Loch im Wald und fanden es nicht, obwohl wir einen guten Plan dabei hatten. Kein Schild wies darauf hin. Ohne es zu beabsichtigen, machten wir einen Rundgang von gut einem Kilometer gegen den Uhrzeigersinn, bis wir dieses Loch mit Hilfe eines Spaziergängers, der sich „zufälligerweise“ blendend auskannte, fanden. Wahrscheinlich war das KZ rechts und links des Weges, den wir gegangen sind, und wir haben durch diesen Rundgang etwas gelöst.
Das Loch war vielleicht 40 qm groß. Es bestand aus alten, stellenweise umgefallenen Mauerteilen. Deutlich konnte man noch die Feuerstelle der Küche erkennen und eine weitere Fläche, die gem. Aussage der Frauen zur Misshandlung der Arbeitsunwilligen diente. Wenn man nach Bildern des KZ Walldorf googelt, findet man Fotos. Hiermal ein Bild:
Mein Bekannter zündete im Gemäuer des Loches eine weiße Kerze an und ich räucherte darin wie ein Weltmeister und bestreute alles mit Blumen. Mein Bekannter streute sie außerhalb des Loches zwischen den ausgebuddelten Mauerresten, Brombeeren und Sträuchern. Wir sangen noch das Aufstiegsliedchen und das jüdische Heilungsmantra „Ganz tief in mir, im Heim meiner Seele, möge jetzt Heilung geschehen…“ , und wieder kam ein Zufriedenheitsgefühl bei beiden auf, das uns signalisierte, dass wir etwas erreicht hatten. Freudig verließen wir den Ort. Der gesamte Stress mit der Suche nach dem Loch war wie weggefegt.
Etwa zwei Jahre später besuchte ich nochmal diesen Keller und fand unter den vielen Bildern und Berichten der Frauen auch einen Bericht des KZ-Kommandanten. Er sagte zu diesem Arbeitslager, dass die Baracken alle gar keinen Keller hatten. Sie wurden nur schnell mal dahingeschustert, um danach abgerissen zu werden. Eine KZ-Wärterin bestätigte seine Aussage. Es war beiden auch nicht bekannt, dass Menschen misshandelt wurden, wenn sie nicht erwartungsgemäß geleistet hatten. Der Raum, in dem die Küche stand, sei ebenerdig und er konnte sich nicht genau erinnern, was in dem Raum neben der Küche war.
Nun betrachtete ich mir mal von oben dieses Loch. Ich stand auf dem Hügel und schaute hinunter und stellte fest, dass hier in den 2 Jahren weiter ausgebuddelt wurde. An einer Außenmauer wurde eine Öffnung freigelegt, die in einem ebenerdigen Weg nach draußen führte. Hätte die Küche in einem Keller gestanden, hätte man die Reste einer Treppe sehen müssen. So meine Logik. Ich fand es auch sehr seltsam, dass im Stadtwald ein Hügel ist und dass man ausgerechnet dort eine Baracke, die man verbergen möchte, gebaut hatte. Der Stadtwald befindet sich nämlich auf der südlichen Mainseite, und die ist vollkommen eben. Das ist durchaus möglich, dass hier die Reste einer Baracke mit Erde zugeschüttet wurden und ein Hügel dadurch entstand, der aufgeforstet wurde.
Ich bin kein Archäologe, um das genau beurteilen zu können. Ich kann nur denken. Und bitte nicht falsch verstehen: Keiner stellt die Existenz des KZs infrage und die Frauen hatten es mit Sicherheit nicht leicht. Sie wurden zur Arbeit gezwungen und mögliche Tote kann ich nicht abstreiten. Ich möchte nur etwas heilen und es ist mir dabei gleichgültig, welches Volk hier noch erdgebunden sein könnte. Ich möchte aber nicht etwas heilen, was keiner Heilung bedarf oder nicht in dieser Form bedarf.
Ich habe hier etwas gelernt: Zum Heilen benötige ich die Wahrheit, ganz gleich wie sie lautet. Die muss ich herausfinden, bevor ich etwas in Angriff nehme. Ansonsten gibt das einen geistigen Murks.
Das KZ Natzweiler-Strutzhof, Außenstelle Katzweiler:
Von der Firma Adler in Frankfurt möchte ich auch noch berichten! An einem schönen Sonntag im November 2011, packte ich in meinen Korb die Kohle und den Weihrauch und fuhr nach Frankfurt am Main, eine der negativsten Städte Deutschlands. Dort fuhr ich erstmal ins Gallus-Viertel, ein richtig schmutziges Viertel, in dem keiner gerne wohnt. Ich suchte die ehemalige Firma Adler auf. Heute stehen die DB und andere Firmen auf diesem Gelände. Das Gebäude ist komplett erhalten geblieben. Ursprünglich war Adler ein Fahrradhersteller. Während der nationalsozialistischen Zeit wurden aber dort unter dem Namen „KZ Natzweiler-Struthof, Außenstelle Katzweiler“ die Karosserien für die Panzer gebaut. Ein Schild gleich am Eingang des Werkes erinnerte auch an die „Zwangsarbeiter der Außenstelle Katzweiler“ und an viele Tote. Der kleine Platz gegenüber den ehemaligen Adler-Werken trug den Namen von zwei Russen, die auf der Flucht an der Stelle erschossen wurden, und auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt befindet sich ein Grab, in dem etwas mehr als 500 Tote aus den ehem. Adler-Werken begraben sind. Die ehemalige Firma Adler soll mit den ausländischen Fremdarbeitern, die aus Russen und Polen bestanden, sehr schlecht umgegangen sein. Das war sicherlich ein übles Kapitel unserer Geschichte. Wenn aber schon ein Schild am Eingang des Werkes daran erinnert, ein Platz nach zwei Fremdarbeitern genannt wurde, die Toten auf dem Friedhof bestattet wurden, und – soweit ich erfahren konnte – die Überlebenden auch entschädigt wurden, wenn auch nur knapp, wurden diese Seelen nicht vergessen und dürften wohl kaum noch auf Erden weilen. Man kann nie behaupten, dass alles gelöst ist. Man kann aber davon ausgehen, dass gewaltsam Verstorbene mit einer ordentlichen Bestattung, mit allen Ehren, allen Gedenken und aller Bitte um Vergebung losgelassen haben und der negative Ort sich langsam auch transformiert.
Ich kann es mir einfach nicht erklären, wie man einen fast-gratis-Arbeiter so schlecht behandelt, dass er stirbt, denn dann hat man ihn ja nicht mehr. Das muss aber so gewesen sein, denn offensichtlich sind hier mehr als 500 Tote gewesen. Ich kann mir das nur erklären, dass die Nazis bei der Herstellung von Panzern einen riesigen Druck bekamen und diesen ohne Rücksicht auf Konsequenzen weitergegeben haben.
Welche Kriegsopfer wurden denn vergessen, nicht entschädigt, ja sogar geleugnet, entwertet und diffamiert? Eigentlich nur die deutschen! Um die konnte nicht einmal richtig getrauert werden, viele wurden nicht ordentlich bestattet und viele werden vermisst. Die weilen noch auf Erden! Auch wenn von allen anderen Opfern noch sicher eine negative Energie in der Erde ist, und das Räuchern und Erinnern durchaus sinnvoll ist, können kaum noch Seelen erdgebunden sein.
Dieses Mal lief ich bewusst gegen den Uhrzeigersinn um die ehemalige Firma Adler und räucherte. Ich hatte die brennende Kohle in eine Schale in meinen Korb gelegt und es duftete stark nach einer Weihrauchmischung. Es kamen mir so viele Leute entgegen und keiner sah meinen rauchenden Korb. Wenn ich mich auf die Wesen oder die Transformation der Energie konzentrierte (und nicht auf die Passanten) und kein schlechtes Gewissen wegen der Räucherung hatte, dann nahmen mich die Leute nicht wahr. Das habe ich auf dieser Tour gelernt!
Die EZB in Frankfurt:
Diese Erfahrung mit dem „nicht wahrgenommen werden“ wollte ich gleich mal richtig erproben und fuhr im Anschluss direkt an einen mindestens genauso negativen Ort, nämlich zur EZB in der Frankfurter Innenstadt (an den Wallanlagen, wo sie ursprünglich stand), und machte das gleiche: Ich bin einmal mit der brennenden Räucherkohle und dem Weihrauch im Korb um das Hochhaus herumgelaufen. Zu allem Überfluss waren dort noch die Leute der Occupy-Bewegung und es war alles voll Menschen, wie auf einer Demo. Das war aber nicht schlimm, denn die nahmen meinen rauchenden Korb und mich nicht so recht wahr. Nur einmal hörte ich hinter mir eine Frauenstimme, die sagte: „Hmmm, hier riecht es nach Weihrauch“. Das klang aber eher wie „Das duftet aber schön“, d.h. eher positiv.
Ich hatte von Anfang September 2011 bis Ende November 2011 so vieles erledigt, dass man meinen könnte, ich muss ja jeden Tag unterwegs gewesen sein und fürchterlich gepowert haben. Aber nein, so war es nicht. Dabei habe ich hier bei weitem nicht einmal über alle Orte berichtet, in denen ich gewesen bin, sondern nur die relevanten Geschichten erzählt. Ich war vielleicht 1 x wöchentlich unterwegs und ich empfand das überhaupt nicht belastend. Ich hatte einen riesig großen Teil deutscher Geschichte gelernt, von dem ich keine Ahnung hatte. Die hatte ich nach einigen Recherchen aus dem Internet und vor Ort danach wie in den Kopf reingepresst. Das ist das, was man in der Schule innerhalb eines Jahres lernt! Die Zeit muss bei mir anders gelaufen sein.
Genauso wichtig, wie die Geschichte, die ich lernte, war die Entwicklung meines Gefühls für die Wahrheit. Ich hatte unter anderem auch viel Quatsch und viel Verdrehtes vor allem im Internet gelesen. Bei Wikipedia, bei Herrn Knopp und auf vielen bestimmten Seiten schaue ich nie wieder rein, wenn es um den Krieg und die NS-Zeit geht! Danach konnte ich sehr gut zwischen der Wahrheit und der Unwahrheit differenzieren und fiel „zufälligerweise“ auch immer gleich auf die richtige Literatur.
Vielleicht ist es aber für einen Leser mal ganz interessant, etwas über meine Recherchen aus meinem Gefühl der Wahrheit heraus und meinen Eindrücken zum Thema Fremd- und Zwangsarbeit zu lesen:
Wie schon erwähnt, war jede Arbeitskraft in Deutschland, vor allem gegen Kriegsende, dringend erforderlich, denn die deutschen Männer waren im Krieg. Das Heranziehen von ausländischen Arbeitskräften, Kriegsgefangenen und KZ-Insassen für die Arbeit, war eine Notwendigkeit, die der Krieg mit sich brachte, auch wenn es sehr unmenschlich ist. Unsere Mitmenschen bezeichnen aber alle fremden Arbeitskräfte als „Zwangsarbeiter“ und jeder, der davon nur etwas wusste, war ein „Kriegsverbrecher“. Das nenne ich eine „Geschichtsverdrehung“.
Ein „Zwangsarbeiter“ ist ein Mensch, der zur Arbeit gezwungen und dafür möglicherweise nicht einmal richtig entlohnt wird. Tatsächlich gab es in Russland und Polen einige junge Menschen, die in einer Nacht- und Nebelaktion nach Deutschland verschleppt wurden. Das waren aber sehr wenige und sie bekamen in Deutschland für ihre Arbeit auch Geld, auch wenn es ein bescheidener Lohn war.
Fast alle ausländischen Arbeitskräfte waren „Fremdarbeiter“. Ein Fremdarbeiter war ein meist junger Mensch aus den damals von Deutschland besetzten Ländern (Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Polen, Russland und die Ukraine und auch andere Länder), die keine richtige Arbeit und kein richtiges Einkommen im eigenen Land hatten und oftmals auch kein richtiges Zuhause hatten. Die deutschen Besatzer boten ihnen Arbeit mit halbwegs guter Bezahlung in Deutschland an. Dafür mussten die jungen Menschen aber einen Vertrag unterschreiben, der ihnen vorgelegt wurde. Ähnlich wie ein Arbeitsloser, der von der Bundesagentur für Arbeit eine Eingliederungsvereinbarung vorgelegt bekommt, in der ihm eine Bürgerarbeit auferlegt wird. So gut wie alle unterschrieben, auch wenn sie es nicht wollen. Polen und Russen bekamen weniger Geld und weniger Essen als die anderen. Meist mussten sie auch länger arbeiten.
Unter Polen und Russen brachen auch manchmal Fleckfieber-Epidemien aus. Hierfür kann man die Nazis zur Verantwortung ziehen, denn da hat es an hygienischen Voraussetzungen gemangelt. Solche Krankheiten kommen, wenn zu viele Menschen auf einem Haufen sind.
Dann gibt es noch die KZ-Insassen. Das waren Kriegsgefangene und Inhaftierte. 20% davon waren Juden. Sie wurden zur Arbeit rekrutiert. Die Genfer Konvention erlaubt es, Kriegsgefangene gegen Bezahlung zu beschäftigen, sofern sie nicht in der Rüstungsindustrie eingesetzt werden. Das war aber nicht immer möglich, da die meiste Arbeit zu Kriegszeiten in der Rüstungsindustrie vorhanden war. Die Kriegsgefangenen bekamen für ihre Arbeit einen bescheidenen Lohn.
Es ist mir nicht bekannt, inwieweit andere KZ-Insassen und Juden Geld für ihre Arbeit bekamen. Zumindest waren sie billige Arbeitskräfte.
Ein sehr großer Teil der Fremdarbeiter musste auf dem Land beim Bauern arbeiten. Die meisten Bauern waren menschlich und hatten auch genug zu essen. Diese Menschen hatten es beim Bauern gut, sofern das Persönliche stimmte. Sehr viele Fremdarbeiter kamen aus zerrütteten Familienverhältnissen und haben hier in Deutschland auf dem Land richtig gerne gelebt und gearbeitet.
Die Fremdarbeiter, die für die Stadt arbeiteten, hatten es nicht ganz so gut. Sie mussten im Bau, bei der Bahn, in den Lagern, beim Schutt abtransportieren uvm. helfen. Sie mussten hart arbeiten und bekamen gegen Kriegsende oft nicht genug zu essen, denn auch für die Bevölkerung war nicht genug da. Vor allem Russen und Polen bekamen sehr wenig. Die Fremdarbeiter, die für die Stadt arbeiteten, waren relativ frei, konnten sich im Ort beliebig bewegen, einkaufen, heiraten, usw.. Viele dieser Fremdarbeiter sind Churchills Bombenterror zum Opfer gefallen.
Es waren die Fremd- und Zwangsarbeiter einiger weniger Betriebe, die katastrophale Zustände erlebten, wie Vieh behandelt wurden, eingezäunt leben mussten, manchmal gefährliche Arbeit verrichten mussten und obendrein nicht genug zu essen bekamen. Es betraf vor allem Polen, Russen, Ukrainer und Juden. Fehlendes fließendes Wasser und extrem enger Wohnraum sorgten dafür, dass sich in den Lagern auch noch Fleckfieberepidemien verbreiten konnten. Trotzdem waren die Betriebe auf diese Arbeiter angewiesen. Es ergibt keinen Sinn, wenn behauptet wird, dass diese Menschen vorsätzlich schlecht behandelt oder getötet wurden.
Für die meisten war es sicherlich kein Zuckerschlecken, in Deutschland ein Fremdarbeiter zu sein. Aber auch hier stimmt die Geschichte nicht so ganz. Als ich in Frankfurt im Waldfriedhof in Oberrad war und die Bombentoten und Soldaten besuchte, war ich auch bei den Gräbern der 700 holländischen Fremdarbeiter, die aus dem süddeutschen Raum hierher umgebettet wurden. Auf den Friedhofstafeln wurden sie als „Zwangsarbeiter“, „Deportierte“ und „Ermordete“ bezeichnet. Diese Ausdrücke treffen auf die Niederländer wohl kaum zu. Die meisten Toten, die hier lagen, dürften Bombenopfer gewesen. Die Siegermächte kannten keine Ausnahmen, wenn sie deutsche Städte vernichten wollten. Möglicherweise waren sie auch Opfer der Verlegungen zu Kriegsende, die ich mir bis heute nicht erklären kann. Es sieht aber nicht so aus, als ob eine Absicht bestand, diese Menschen zu töten, denn sonst hätte man sie gleich hingerichtet.