Meine Erlebnisse bei der Reinigung der Stadt Idstein im Taunus
Am 14.4.2014 besuchte ich die Kleinstadt Idstein im Taunus, ein wunderschönes Städtchen mit vielen Fachwerkhäusern, zwei Schlössern der Nassauer, einen Barocken Garten, einen Hexenturm, aber mit einer sehr traurigen Geschichte. Es war schönes Wetter, aber April; da weiß man es nie.
Das ist ein Teil des Marktplatzes. Auf dem Bild sieht man ganz links ein blaues Fachwerkhaus und dahinter den Turm des Hexenturms. Das orangefarbene Haus ist das Rathaus und rechts, neben dem Rathaus, sieht man einen Teil des alten Nassauerschlosses. Das neue Schloss mit dem Schlossgarten ist gleich hinter dem Hexenturm und man sieht es auf dem Bild nicht. Das neue Schloss ist heute ein Gymnasium und im alten Schloss wurden nach dem ersten Weltkrieg französische Soldaten als Besatzungsmacht untergebracht. Im zweiten Weltkrieg diente es als Reservelazarett. Heute ist es eine Unterkunft für die Schüler des Gymnasiums. Übrigens sieht der ganze Marktplatz so ähnlich aus wie diese drei Häuser, d.h. er besteht komplett aus alten, wunderschönen Fachwerkhäusern, genauso wie die gesamte Altstadt. Das Städtchen wurde im Krieg nicht zerstört.
Zuerst ging ich zum Hexenturm, der auf einem Bergfried steht, und den man so ziemlich überall in der Stadt sieht. Der Hexenturm ist das Wahrzeichen der Stadt und diente früher als Wachturm. Ob die Hexen jemals dort untergebracht waren, ist fraglich. Auf jeden Fall gab es in Idstein mehrere Hexenprozesse, die sehr gut dokumentiert sind. Am Turm befindet sich ein Plakat mit den Namen der Hingerichteten, fast alles Frauen. Dort legte ich ein paar Blumen nieder, sprach die Namen der Hexen laut aus, und danach kletterte ich bis zum Turmeingang herauf. Das war ganz schön beschwerlich, denn der Aufstieg bestand aus einer Treppe, die aus dem Fels gehauen war und auffällig hohe Stufen hatte. Ich musste sie teilweise fast beklettern.
Als ich oben ankam, kamen ganz plötzlich dunkle Gewitterwolken auf und es regnete sofort wie aus Kübeln. Es fiel auch etwas Hagel und ich konnte mich dort nirgendswo unterstellen und hatte nur eine wetterfeste Sommerjacke an. Der Turm war abgeschlossen und ich konnte dort auch nicht rein. Als ich noch unten an der Treppe war, hatte ich nicht einmal geahnt, dass so etwas kommen könnte; da war das Wetter noch schön. Also lief ich die Treppe wieder herunter, um mich irgendwo zu schützen. Als ich unten ankam, war der Regen aber vorbei und die Sonne schien wieder. Ich überlegte ein wenig, ob ich es mir antun sollte, den beschwerlichen Weg noch einmal hochzugehen. Ich wollte dort nämlich einen Steinkreis bilden. Ich entschloss mich, doch nochmal raufzugehen, bildete den Steinkreis und – ich war damit noch gar nicht fertig – schüttete und hagelte es schon wieder. Ich ging runter und das Wetter wurde schon wieder schön. Jetzt gab ich aber auf. Sieht fast wie eine Botschaft aus. Als ob ich dort nichts anrühren sollte oder nichts zu suchen hätte.
Und danach war nur noch schönes Wetter, wie aus dem Bilderbuch! Ich ging in den Kalmenhof, der gleich an die Altstadt angeschlossen ist. Der Kalmenhof ist eine Klinik für Kinder (aber auch einigen Erwachsenen) mit Down-Syndrom, Epilepsie und „Schwachsinnige“, die schon seit 1888 existiert und in der es Euthanasie-Fälle gab. Er besteht aus einer großen Parkanlage mit mehreren sehr schönen alten Gebäuden. Früher lebten dort nur „abgegebene“ Kinder, die von den Eltern unerwünscht waren. Früher glaubte man, dass psychische und geistige Erkrankungen erblich sind und die Eltern schämten sich, wenn sie so ein Kind auf die Welt brachten. Außerdem waren geistig kranke Kinder eine große Belastung für die Mütter, die damals meist viel mehr Kinder als heute hatten, keine Waschmaschine und keinen Geschirrspüler hatten, es keine Schnellgerichte gab, das Geld immer knapp war, usw. Die Mütter waren immer überfordert und standen immer unter einem riesigen Druck und die Kinder kamen alle zu kurz.
Während des Nationalsozialismus fürchtete man die Erblichkeit dieser Erkrankungen und ließ die Kinder zwangssterilisieren. Außerdem hatte man die Kinder in handwerklichen Arbeiten ausgebildet und ließ sie viele Arbeiten verrichten. D.h. zu dem Zeitpunkt kann keine Absicht bestanden haben, diese Kinder zu töten, so wie es danach der Fall war, denn sonst hätte man sich die Mühe mit der Sterilisation und der Ausbildung nicht gemacht.
Die Absicht, sie zu töten, kam zu Kriegsende, als die Städte bombardiert wurden und es so viele Obdachlose gab und die Flüchtlinge aus den Ostprovinzen dazukamen. Ich meine, dass diese Kinder, die in Zeiten großer Not Nahrungskonkurrenten waren, eine große Klinik mit Krankenhaus besaßen und früher als „minderwertig“ betrachtet wurden, der obdachlosen Zivilbevölkerung, den Flüchtlingen aus dem Osten und den verwundeten Soldaten, die aus dem Krieg kamen und keine Klinik hatten, weichen mussten. Auch wenn es kein minderwertiges Leben gibt, so fand man damals für diese schreckliche Situation diese Lösung. Die Tat wurde von Ärzten und Pflegern durchgeführt und man berücksichtige, dass diese von geisteskranken Kindern gelebt haben. Das war mit Sicherheit keine pure Mordlust und sie haben es mit Sicherheit auch nicht gerne getan.
Etwas außerhalb des Geländes des Kalmenhofes, auf einem Hang, befindet sich die Klinik für die Kinder. Die besuchte ich auch. Sie ist verlassen und es ist im Gespräch, sie abzureißen. Dort sollen die Kinder getötet worden sein. Die Stadt Idstein kaufte 1942 ein Gelände im jüdischen Friedhof und beerdigte dort die toten Kinder. Als der Platz nicht mehr ausreichte, wurden sie ca. 100 m von der Klinik entfernt, auf einem bewaldeten Hügel begraben. Dieses Massengrab, in dem ca. 400 Personen, davon auch einige Erwachsene, liegen sollen, habe ich besucht. Hier: ist ein Bild dieses Grabes mit einer Gedenkstätte. Hinter dem Kreuz sieht man im Rasen eine runde Fläche von ca. 10 m Durchmesser. Es sieht so aus, als wäre dort einmal ein Loch gegraben worden und ich schätze, dass in diesem Loch die Leichen liegen. Ich hatte einen wunderschönen Fliederstrauß in mehreren Farben dabei, der in der grünen Landschaft sehr schön aussah. Dort habe ich ein Ritual für alle Getöteten im Kalmenhof gemacht.
Ganz interessant war auch der Friedhof, der sich gleich in der Nähe des Kalmenhofs befindet. Dort befindet sich die Kriegsgräberstätte für die verstorbenen Soldaten im Lazarett bzw. der Klinik des Kalmenhofes und auch einiger Kinder.
Die traurige Geschichte des Kalmenhofes endete leider nicht mit dem Krieg, den Bombenopfern, Flüchtlingen und Verwundeten. In den 1950er und 1960er Jahren kam es zu schweren Misshandlungsfällen, von denen vermutlich nicht einmal alles bekannt ist. Bekannt wurden neben Vorteilsnahme und sexuellem Missbrauch auch drakonische Strafen, welche unter anderem Taschengeld- oder Essensentzug, Schläge, Stockschläge, Fesseln, Wegsperren und Schlimmeres umfassten. Diese Methoden basieren vermutlich auf frühere Erziehungsformen, die Gewalt und Einschüchterung beinhalteten.
Ich habe es nicht geschafft, noch in den jüdischen Friedhof zu gehen, wo die restlichen Kinder begraben sind. Ich werde es noch nachholen.